Der letzte Tag…

Der letzte Tag

Noch 24 Stunden.
Jetzt sind es noch 24 Stunden, dann ist die Erde zerstört. Nichts kann dies aufhalten, das Ereignis wird stattfinden. Ungefähr 10 Jahre hatten Wissenschaftler alles versucht, es aufzuhalten. Vergebens.
Ich sitze auf einer Bank und schaue meiner Tochter zu, wie sie Blumen sammelt. Unbeschwert und scheinbar ahnungslos.
Ich wünschte, ich könnte die letzten Stunden so erleben.

Die Sonne scheint so schön und doch schwingt Melancholie durch die Luft.
Sie hat den Blumenstrauß fertig, bunt und wohlriechend. Noch 24 Stunden, dann wird man nie wieder sowas schönes zu sehen und riechen bekommen. Sie lacht und mein Herz zerreißt innerlich, weil sie nie die Freude erleben wird, eigene Kinder zu haben, welche ihr Blumen schenken.

Die Vögel zwitschern. Seit dem Zusammenbruch der Wirtschaft, scheinen sie lauter zu sein oder ich nehme die Natur nur mehr wahr ohne den ganzen Lärm. Früher hörte man immer was, ein Auto, ein Flugzeug oder nur irgendwelche Musik.
Nun herrscht Stille, außer die Laute der Natur. Ob es ihr auch aufgefallen ist?

Ich rufe ihren Namen und sage ihr, lass uns essen. Eine karge Mahlzeit, aber ich genieße sie wie nie was anderes zu vor.
Nun sind es noch 23 Stunden.

10 Jahre zuvor.
Man hatte es nur durch Zufall entdeckt. Schnell war klar, es bedeutet das Ende. Nicht nur oberflächlich, sondern alles existierende Leben, ja selbst den kompletten Planeten wird es nicht mehr geben.
Die Regierungen wussten schnell Bescheid, haben aber alles Geheim gehalten, damit der Rubel weiter rollt. Damit sie Wirtschaft nicht leidet. Damit war es erstmal ruhig, da nur wenige davon wussten.
Aber wie immer gab es einen unzufriedenen Mitarbeiter, eine betrogene Frau oder einfach nur Pech.
Es kam raus und brannte sich durch die Welt, wie Thermit durch einen Motorblock.
Erst hatte man die Befürchtung das es Krieg geben wird, aber wofür? Denn wer immer gewinnen würde, er hätte nichts davon.
Das Ende, es war unausweichlich, daher gab es wenig Aufruhr. Nur ein paar Unverbesserliche, die meinten, man könnte etwas ändern, wollten sich bereichern.
Niemand stellte sich ihnen entgegen. Wofür auch.
Das Phänomen war, es war überall, weltweit, gleich. Die Menschen nahmen es hin.

Die Ironie war, es herrschte Frieden, endlich, es kostete nur die Existenz der Erde.

Noch 22 Stunden
Sie fragte mich, ob sie abwaschen sollte und ich meinte ja, vollkommen selbstverständlich. Schließlich möchte man kein Chaos hinterlassen. In dem Moment wurde es mir wieder bewusst, es wird nichts bleiben. Keine Ordnung, kein Chaos, nichts.
Höchstens der Müll, den wir auf unseren Nachbarplaneten hinterlassen haben. Ob ihn jemals wer findet? Komische Gedanken, wenn man bedenkt, in 22 Stunden ist alles vorbei.

Ich gehe noch mal zu unseren Ponys, sie brauchen nochmal Wasser und Heu, sagte meine Tochter zu mir. Sie ist so liebreizend, fast schon arglos. Als sie weg ist, brechen die Tränen hervor, da ich nicht vor ihr weinen möchte. Stark sein, bis zum Schluß. Ihr Fels in der Brandung.
Ich blickte mich um, suchte nach Nachbarn. Die Neugier brannte hoch und die Trauer ebbte stark ab. Aber ich sah niemanden und ich überlegte, wann habe ich das letzte Mal einen gesehen habe.

5 Jahre zuvor
Man hatte es aufgegeben ein Lösung zu finden und damit die letzte Hoffnung auf ein glückliches Ende. Dies teilte man der Bevölkerung mit. Man offenbarte das genaue Datum des Ereignis und bat darum nicht in Anarchie zu verfallen.
Und so komisch es klingt, es gab zwar Ausschreitungen und Gewalt, aber eigentlich flammte dieses nur kurz auf.
Auch Kriege gab es nicht, weil man es als sinnlos betrachtete, jetzt Länder zu anektieren, da in kurzer Zeit dies keine Bedeutung mehr hatte.
Aber es geschah dennoch etwas einschneidendes, die Wirtschaft brach komplett zusammen.
Es wurde nichts mehr produziert, wie Autos oder langfristige Erzeugnisse. Niemand lernte mehr, Schulen wurden geschlossen. Studieren war nutzlos geworden.
Einzig die Bauern arbeiteten weiter, weniger um was zu verdienen, eher weil sie es immer getan haben und die Tiere ohne Menschen nicht überleben könnten.
Ähnlich war es in Zoos und Gärtnereien.
Man sah den Menschen an, wie sie resignierten.
Viele hörten auf zu essen, sie setzten sich irgendwo hin und blieben einfach sitzen, bis sie starben.
Andere löschen ihre gesamte Familie aus und dann sich selbst, in Anbetracht der Hoffnungslosigkeit der Zukunft.

20 Stunden vor dem Ereignis
Nach dem ich durch den kleinen Ort gewandert war, um zu schauen, wer noch da war, stellte ich fest, nur noch 5 weitere Familien lebten hier noch.
So klein der Ort auch ist, ohne Bewohner wirkte er unwirklich groß. Ich ging nach Hause. Meine Tochter wartete schon auf mich, das Gesicht voller Angst. Sie dachte schon, ich hätte mir, wie viele andere, etwas angetan. Ich tröstete sie und sagte, wie ich es immer getan habe, ich werde dich nie verlassen und immer da sein. Egal was passiert. Du bist mein Kind und damit das einzig wichtige.
Was machen wir heute noch, fragte ich.
Sie schaute mich an und meinte, lass uns einen Film sehen und ein bißchen was naschen. Sie war immer sehr sparsam mit dem Essen gewesen, dies war heute Abend nicht mehr nötig.
Such du den Film aus, ich bereite das Essen vor, meinte ich zu ihr.
Ihr Augen wurden riesig, als sie den vollgepackt Tisch sah, mit wirklich allen Leckereien, die noch da waren.
Sie meinte, wenn wir heute alles essen, was ist mit morgen und der Zukunft? Was essen wir da, fragte sie. Mein Herz drohte in eine million Teile zu zerspringen. Wußte sie es wirklich nicht oder ignorierte sie es einfach?

Wir können heute ausnahmsweise schlemmen und das alles essen. Genieße es mein Engel.
Sie hatte einen lustigen Film ausgesucht und für fast zwei Stunden hatte auch ich die Realität vergessen. Auf einmal starrte sie mich an und ich fragte verwundert, was ist.
Papa, du hast seit Monaten das erste Mal wieder laut gelacht, das war schön.
Ich nahm sie in den Arm und sagte, dass ich versuchen werde, wieder öfter zu lachen.
Sie nickte und freute sich.
Ich war müde und war am schwanken, die letzten Stunden einfach wach zu bleiben, aber wozu? Es würde nichts ändern, egal ob ich ausgeschlafen habe oder übermüdet bin, es bleibt beim unabänderlichen. Es wird geschehen.

3 Jahre früher.
Es gibt keine Regierung mehr, keine Pläne für die Zukunft und auch das letzte Krankenhaus wurde geschlossen.
Auch hier zeigte sich die Ironie des Lebens und der Natur.
Das Krankenhaus schloss, aber nicht weil keiner mehr helfen wollte, sondern weil es so gut wie keine Patienten mehr gab.
Nachdem es kein Fastfood und vergiftetes Essen mehr gab, ebensowenig wie Alkohol und Zigaretten, ging es den Menschen besser. Auch die Natur erholte sich, weil man keinen Raubbau mehr betrieb.
Die Erde wurde zu einer wunderschönen Utopie. Eine Utopie mit Verfallsdatum, welches unabdingbar feststeht.
Nicht mal der so genannte Klimawandel war mehr ein Problem, da immer weniger Menschen existierten, gab es immer weniger Probleme. Naja, vor dem bekannt werden des Ereignisses, war man am rätseln, wie man die Erde retten könnte. Mit vielen absurden Ideen, welche die Probleme nur verlagert haben. Nun gab es noch 1/3 der Menschheit und alles normalisierte sich, innerhalb von kürzester Zeit.

Noch 8 Stunden
Ich erwachte und fühlte mich gut, ja nahezu perfekt. Auch hatte ich einen schönen Traum, wo ich meine Enkelkinder gehütet habe. Ich musste mich übergeben, weil mir wieder die Realität einholte.
Der Morgen graute und es war eigentlich ein schöner Tag. Der Himmel war wolkenlos und die Natur erwachte voller schöner Geräusche.
Ich ging ich das Zimmer von meiner Tochter und wollte sie wecken. Aber wozu?
Ich starrte sie an, Minuten und nach einer Stunde stand ich immer noch vor dem Bett. Mir war nicht bewußt, daß mir Tränen die Wange runter laufen.
Papa, was ist los? Fragte sie und riß mich aus meinen Gedanken, welche Äonen weit weg waren. Ich gelangte wieder mit meinen Gedanken in die Gegenwart und entgegnete, alles ist gut, wichtiger ist, hast du Hunger?
Sie nickte, aber meinte, es wäre nicht mehr viel da und wir müssen doch sparen.
Ich meinte, es ist egal, zieh dich an und ich mach Frühstück.
Der Tisch war reichhaltig gedeckt und wir aßen still. Mir wurde schlecht, weil ich wußte, in nicht mal acht Stunden ist alles vorbei.

1 Jahr früher.
Der Massenselbstmord hatte begonnen.
Eltern töteten ihre Kinder, um sie zu retten. Spritzten ihnen Gift, damit sie nicht „leiden“ müssen. Danach hängten sie sich selbst auf. Es ähnelte sich weltweit, überall wurde gejammert und gestorben.
Alle Institutionen und Gewerbe hatten Einbußen und gingen bankrott, außer die Weltuntergangssekten, diese hatten Hochkonjunktur. Was verständlich war, denn das Ende, welches sonst nicht kam, war nun absolut sicher. Man wußte wann genau es geschehen würde. Diese Sekten sammelten das Geld und Gold der Anhänger ein, als würde es ihnen nach dem Ereignis irgend etwas nützen.

In den kommenden restlichen Monaten, würde sich die Natur erholen und man konnte erleben wie alles aufblühte. Fast wie das letzte Aufbäumen eines Todkranken, welcher dann auf dem Höhepunkt einfach stirbt.

Noch 4 Stunden.
Lass die Tiere frei, alle! Sie sollen den Rest der Zeit frei sein. Sagte ich zu ihr. Ich war nicht sicher was sie wußte, aber ich merkte schnell, ihr war alles klar.
Kommen sie auch in den Himmel? Fragte sie. Wer? Entgegnete ich. Die Tiere, meine ich. Weil sie ja auch alle weg sein werden. Meinte sie traurig.
Ja, sie werden auch in die andere Welt gehen, vielleicht sehen wir sie dort wieder, antwortete ich ihr.
Ich riß mich zusammen, weil ich nicht weinen wollte. Ihre Herzensgüte ist bewundernswert. Warum kann sie nicht ein langes und schönes Leben haben? Aber diese Gedanken sind es nicht wert fortgeführt zu werden, da sie überflüssig sind. Ich schob diese Gedanken zur Seite und begleitete sie zu den Ställen.
Sie öffnete alle Türen und die Tiere schritten zögerlich hinaus. Ob sie es ahnen? Eher nicht.
Sie blieb vor dem Stall mit ihrem Pony stehen. Mit einmal brach alles aus ihr heraus, sie schrie und weinte. Aber auch hierbei ging es nicht um ihr Leben, sondern um das der Tiere und ihres Ponys. Ihre Mutter hatte es ihr geschenkt, zumindest habe ich ihr das gesagt. Aber das ist ein anderes Thema, welches bald obsolet ist.
Ich nahm sie in den Arm, ihr Körper bebte vor Verzweiflung. Langsam beruhigte sie sich. Sie ließ ihr Pony frei und drückte es noch einmal. Es trabte bedächtig weg, aber nicht weit und graste auf der Wiese.

Noch 2 Stunden
Sie fragte mich was passieren wird. Ich blickte sie an. Was sollte ich ihr sagen? Sollte ich ihr was witziges sagen? Übertreiben?
Die Wahrheit wird das beste sein, dachte ich mir und entgegnete, ich weiß es nicht.
Aber ich werde da sein und dich besch… Ich brach ab, denn wie wollte ich sie vor dem Tod, welcher unausweichlich ist, beschützen?
Papa, wenn du da bist, dann fühle ich mich sicher. Und auch wenn ich noch jung bin, hatte ich ein schönes Leben, danke schön.

Ich wußte nicht was ich sagen sollte, sie war so vernünftig, so reif. Aus ihr hätte eine große Anführerin werden können, aber das wird nicht passieren.
Wo wollen wir es abwarten, fragte ich sie.
Ich weiß nicht, sie schaute fragend in die Gegend.
Gehen wir zum Hügel, es war der Lieblingsplatz deiner Mutter.
Sie lächelte, ja das wäre schön.
Wir machten uns auf den Weg, zu Fuß und das dauerte eine Weile. Wir schwiegen und zogen die letzten Eindrücke auf. Die Farben der Blumen. Die fliegenden Schmetterlinge und selbst die Libellen.
Wir kamen am Kiefernhain vorbei.
Ich blieb stehen, atmete tief ein. Sie machte es mir nach.
Wieder fiel mir auf, wie ähnlich wir uns waren, vom Wesen bis zum Charakter. Nur war sie hübsch.

1 Stunde.
Wir kamen an und es war wie immer, wenn wir einen Ausflug hier her unternommen haben. Sie blickte sich um und schaute, ob sie was entdecken konnte vom Ereignis.
Ich sah ihr zu, während ich mich setzte.
Wir schwiegen noch eine ganze Zeit, als sie schon neben mir saß.
Papa, fragte sie mit einem Mal, ich hatte einen Freund vor ein paar Monaten.
Ich blickte sie an, sprachlos. Meine Gedanken machten Quantensprünge, selbst das Ereignis war vollkommen aus meiner Gedankenwelt verschwunden.
Wie, einen Freund? Warum hast du nichts gesagt? Habt ihr… Ähm, naja, du musst es mir nicht sagen, aber naja, ich bin dein Vater und ich möchte es wissen. Stotterte Ich.
Sie grinste und schwieg.
Sie hatte recht, es ist ihre Sache.
Zumindest weiß ich, daß sie nicht stirbt ohne die Liebe kennen gelernt zu haben.

10 Minuten
Bist du mir böse, fragte ich. Sie blickte mich an und ich fuhr fort, dass ich dir nicht in die andere Welt geholfen habe, wie die anderen Eltern? Das du bis zum Schluß bleiben sollst, nein, kannst. Oder musst.
Sie lächelte, Nein, ich bin bei meinem Papa und da fühle ich mich sicher. Aber ich habe dennoch etwas Angst. Hast du auch Angst, Papa. Ich blickte sie an. Die Gedanken drehten sich, Wahrheit oder Lüge? WAHRHEIT ODER LÜGE, brüllen mich meine Gedanken an. Ja ich habe Angst, ich entschied mich für die Wahrheit.

1 Minute.
Ich nahm sie in den Arm und sang ihr Wiegenlied, während sie weinte.

30 Sekunden.
Ein tiefes Grollen begann, wir blickten uns ängstlich an. Papa, ich möchte nicht sterben. Ich drückte sie fest in meine Arme.

10 Sekunden.
Sie brüllte vor Angst.

5 Sekunden.
Ich schaute ihr ein letzte Mal in die Augen und sagte, ich lie…

Ende!

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